Die 3. Etappe, die Drei, welche Bedeutung hat sie? „Zu allen guten Dingen gehören drei“, sagt man. Wenn das nichts wäre. Also wird es uns ja auch an nichts mangeln auf dieser Tour. Lassen wir uns daher überraschen, was und wer uns auf unserem Weg begegnet.
Vertrauen haben – sich öffnen für den Weg.
Er führt uns zuerst nach Calbe-West, das wir mit der „Burglandbahn“ von Calbe-Ost aus erreichen und von dort zur katholischen Kirche „St. Norbertus“. An der Kirchentür werden wir von Pfarrer Denzel sehr nett empfangen. Alles ist dort für eine Hochzeit geschmückt, die nach unserer Morgenandacht stattfinden wird. Zunächst aber lernen wir den St. Norbert von Xanten als Gründer des Prämonstratenser-Ordens und Erzbischof von Magdeburg sowie auch sein Bekehrungserlebnis kennen. Vom Pfarrer hören wir die Legende von der Begegnung der Emmaus-Jünger mit dem auferstandenen Jesus, den sie als einen Fremden wähnten und sich ihm öffneten. Durch seine Worte, Symbole und Gesten, mit denen er sich ihnen zuwendete, erkannten sie ihn.
Dagmar Schlegel rundet die Andacht mit der Lesung aus dem Lukasevangelium – Luk 24 – ab.
Nicht weit von der St. Norbert-Kirche entfernt werden wir zu einem interessanten Orgelspiel eingeladen und erfahren von Herrn Newiger etwas über das bewegte Schicksal der kleinen, heute Neuapostolischen „Heilig-Geist-Kirche“. Ursprünglich war sie ein Gotteshaus für Handelsreisende (Nikolai-Patrozinium). Die längste Zeit diente sie als Hospitalkirche – also auch für Pilger…
In mir klingt beim Verlassen der kleinen Kirche das Lied „Geh´aus mein Herz und suche Freud´“. Wir streben der Gierseilfähre entgegen, um über die Saale zu gleiten. Dort nützen wir die Wartezeit, um das neue Pilgerlied von Dagmar zu singen. Dabei erfahren wir, daß der Pilgerfreund Dr. Hillmann noch eine Strophe dazugedichtet habe, in der unsere Dagmar für ihren enthusiastischen Einsatz zum Gelingen der Pilgeretappen gewürdigt werde.
Das Wetter meint es den ganzen Tag, um es schon vorweg zu nehmen, gut mit uns: Sonne pur, ab und zu ein kleines Lüftchen… Ãœberall blüht und grünt es…
Am anderen Ufer empfängt uns Herr Dieter H. Steinmetz, Heimathistoriker i.R., in dem Ort Gottesgnaden. Er zeigt uns die Reste der ehemaligen riesigen Stiftsanlage des Prämonstratenserordens und erzählt aus der Legende des Norbert von Xanten, der den Bau des Stiftes „Gratia Dei“ (Gottes Gnade) auf einem Hügel östlich der Saale, nahe bei Calbe, erwirkte. Er wurde Nebensitz der Magdeburger Erzbischöfe (s. dazu das Textblatt von D. H. Steinmetz, das er uns freundlicherweise überlassen hat).
Staunen und Ehrfurcht, auch ein wenig Wehmut beim Anblick der von Moos überzogenen Mauerreste überkommen mich. Ehrfurcht vor den Leistungen der Menschen, die damals sehr schwere Arbeit verrichteten, die künstlerisch tätig waren, planten und dienten… Wehmut, weil das Geschaffene Kriegen und Unruhen zum Opfer fiel, Skulpturen und wertvolle Steinquader zum Bau von Schleußen auf Befehl König Friedrich I. verwendet (zweckentfremdet) wurden… nur Historie ? Wir können leider nicht sehr lange verweilen und den Geschehnissen vieler Jahrhunderte nachsinnen. Es soll nur eine Anregung sein, ein Grund, hierher zurückzukehren.
Wir pilgern weiter: Gottesgnaden – Tippelskirchen – Wispitz… auf ganz unterschiedlichen Wegen, zum Glück nur kurze Strecken auf befahrenen Straßen. An dieser Stelle meines Berichtes soll mein Dank unserer Pilgergruppenleiterin Dagmar zum Ausdruck kommen, die am 1. Mai den Weg abgefahren und gegangen ist, um für uns annehmbare, naturnahe Wege und Rastplätze auszusuchen. Ein solcher Rastplatz zum Beispiel im Ort Wispitz, am Dorfanger, unter einer Rieseneiche, sei erwähnt und das Bemühen um die Erlaubnis, den Saaledamm über Wedlitz nach Nienburg benutzen zu dürfen. Ringsum die Frühlingsnatur: Rapsfelder, Wiesenblüher, Flieder- und Weißdornbüsche, blauer Himmel, strahlende Sonne, Vogelgezwitscher… Anfang Mai, solch eine Pracht, die leider zum Teil schon im Verblühen ist…Sonne, Schatten – Freud und Leid, sie liegen oft so dicht beieinander. Dagmar berichtet uns auf dem Damm, an einer schattigen Stelle, von den Freuden des Altenburger Treffens. Dann gab sie Veronika aus unserer Pilgergruppe das Wort. Die erzählt uns von der Beerdigung der wunderwirkenden Äbtissin Assumpta Schenkl aus dem Kloster Helfta bei Eisleben, die im April im 84. Lebensjahr plötzlich verstorben ist. Die Äbtissin, eine Zisterzienserin, war 1999 mit sechs Mitschwestern von Seligenthal nach Helfta umgesiedelt, um das ehemalige Kloster – ganz im Sinne von Jes 61,4 – wieder mit aufzubauen. In Gedenken und Dankbarkeit gingen wir bis zur Brücke in Nienburg im Schweigemarsch. Das tat gut, stärkte, bewegte, vertiefte auch die Erkenntnisse des Erlebten um Calbe herum.
Wir haben inzwischen den Saaledamm verlassen und kommen auf die Brücke in Richtung Nienburg, wo die Bode in die Saale fließt. Von dort gehen wir zur Klosterruine und Klosterkirche „St. Marien und St. Cyprian“, die auf eine tausendjährige Baugeschichte zurückblicken kann (s. Faltblatt). Diese traditionsreiche Kirche ist evangelisch und wird auch von der katholischen Ortsgemeinde genutzt.
Trotz der bisherigen Wegstrapazen zieht mich das Innere der Kirche in seinen Bann, und ich lausche gespannt den Ausführungen des Herrn Markert, der von seiner lieben Frau unterstützt wurde. Er macht uns viele Details der Kirche bewußt – wie beispielsweise den besonderen Hall, den wir auch ausprobieren durften; er zeigt uns im Bereich des Altarraumes zwei Originalgemälde von Lukas Cranach d.J. von 1570 – ein Auftrag der Fürstenfamilie. Beeindruckend waren auch die beiden archäologischen Funde, die sog. Monatssäule, die heute als Osterleuchter genutzt wird, und Teile des romanischen Schmuckfußbodens, die jetzt mosaikartig im Vorderteil der Kirche aufgelegt wurden. Dort sind u. a. die Krone König Salomons im Zentrum, umgeben von Tugenden, Philosophen, Tieren und Fabelwesen, zu erkennen. Wegen dieser beiden Besonderheiten, Säule und Fußbodenreste, gehört diese Kirche zur „Straße der Romanik“, ein seit 1993 existierendes Kulturprojekt in Sachsen-Anhalt, das in 60 Orten über 70 romanische Baudenkmäler nachweist. Interessant ist auch die vielfältige Nutzung der Klosteranlage und Bestimmung der ehemaligen Klosterkirche, z.B. als Hofkirche.
Eine Fülle von historischen Eindrücken, vom Laufe der Zeit, von Zerstörungen, Neubauten, Veränderungen durch Anpassung an jeweilige Modeerscheinungen, ein Schatz, ein großes Erlebnis. Der Schweiß ist inzwischen getrocknet, die Strapazen sind vergessen. Nie und nimmer hätte ich gedacht, auf dieser 3. Etappe so viel Interessantes zu erfahren. Ich bin total begeistert.
Nun lernen wir die nette Frau Adler vom Heimatverein kennen, die uns von Nienburg über Altenburg, Felsenkeller nach Bernburg begleiten wird. Noch eine ziemlich lange Strecke. Deshalb hat sie ein kleines Klappfarrad dabei, um schnell wieder zurückzukommen. Wir können sie unterwegs fragen, sie erklärt uns besonders die technische Anlage vor den Toren Bernburg – die Geschichte der mysteriösen Solvay-Werke (s. Google „Solvay-Werke“). Nach den sagenumwobenen kulturhistorischen Erlebnissen bisher, wirken die Solvay-Werke auf mich gespenstig…
Ziel erreicht: Wir sind in Bernburg, werden mit Glockengeläut von Pfarrer Barke im Innenhof der „St. Bonifatius -Gemeinde“ empfangen. Dort zeigt er uns das von ihm geschaffene Wandbild – Christopherus mit dem Jesuskind – das sehr blaß gezeichnet ist, das er aber nicht verstärken wollte, weil wir Menschen den Christus suchen sollen, also auch wie in der Emmaus-Legende sich dem Fremden öffnen, um Christus in ihm zu erkennen. Hier heißt das, sich bemühen, IHN zu sehen, genau hinzuschauen…
Im Hof gibt es noch einen Anbau für Jugendarbeit. An der Mauer des Anbaues ist das Symbol der Gemeinde, Bonifatius, zu sehen, sicher auch eine Arbeit von Pfarrer Barke. In die Kirche gehend und dann drinnen erklärt er uns verschiedene Riten und Symbole des katholischen Kirchenlebens. Auch in dieser Kirchgemeinde gibt es in diesem Jahr noch ein hundertfünfzigjähriges Jubiläum. Der Pfarrer erzählt uns, wie, auf welche Weise gefeiert, geehrt, gedankt wird. Dann erhalten wir den Pilgersegen und vom Pilgerfreund, Herrn Obst, den Stempel der Kirche.
Erschöpft, aber glücklich, streben wird dem Bahnhof in Bernburg zu – in der Hoffnung, zur nächsten Etappe u.a. auch das Bernburger Schloß sehen zu können.
Wir fahren über Dessau nach Leipzig zurück.
Danke für diese umfangreiche Etappe, für den guten Weg, für die schönen Eindrücke, für die persönlichen Erfahrungen, für die tragende Gruppe, für die Fürsorge, die ich erfuhr, wo sie nötig war.
Freude auf die nächste Etappe, auf das Wiedersehen.