Pilgern von Butzbach nach Eisenach

Ein Bericht von Elke und Martin Tischer: Seine Umwelt Wahrnehmen, Dingen Achtsamkeit schenken, in seiner eigenen Geschwindigkeit Reisen. Reisen (Urlaub) wie wir sie heute unternehmen haben nicht immer mit Entschleunigung zu tun. Ein straffes Erlebnisprogramm oder Liegen am Strand, gaukeln eine 2-wöchige Abwechslung aus dem Alltag geschickt vor. Aber ist man danach wirklich erholt? Sind die An-/Rückreise, motorisierte Mobilität, Versicherungszwänge, Straßenverkehr, verbunden mit Kosten wirklich eine Abwechslung?

Wie wäre es damit? Einfach von zu Hause loslaufen. Die Haustür ins Schloss fallen lassen. Kinder und Hund mitnehmen. Nicht mehr Last auf den Schultern als einen Rucksack. Gefüllt mit Dingen, die einen vom Jetzt bis zum nächsten Morgen begleiten: Gute Schuhe, Wasser, ein Stück Seife, Vesper, Regenschutz und etwas Wechselkleidung aus guter alter Baumwolle. Vielleicht noch jemanden mit dem man sich gut unterhalten kann oder jemanden mit dem man sich schon lange aussprechen möchte (sich selbst?), eine Isomatte und ein Zelt.

Mal ehrlich wer hat nicht schon vom Jakobsweg gesprochen … einmal im Leben … wenigsten einen Teilabschnitt … nicht genug Urlaubstage … zu heiß â€¦ komme nicht dazu … gefährlich … zu weit weg … das muss man in jungen Jahren machen …. Für alle Zögernden und erfahrenen Wanderer gibt es jetzt, offiziell seit Mai 2017, die Möglichkeit einen kleinen Bruder Jakobs zu bepilgern: Den Martin Lutherweg. Er beginnt in Worms und endet in Eisenach auf der Wartburg. In etwa die Route die Martin Luther vor 500 Jahren genommen hat, um seine 95 Thesen auf dem Reichstag in Worms zu vertreten. Eine wunderbare Einstiegsmöglichkeit gibt es für alle Butzbacher vor der Haustür. Wem für den etwa 10-tägigen Fußmarsch (a 20 km am Tag) das Zelt und die Isomatte zu schwer sind, der Bach zum waschen zu kalt, kann sich im Vorfeld auch in allen kreuzenden Dörfchen eine bequeme Unterkunft organisieren. Wertvoller ist es die ursprüngliche Erfahrung mitzunehmen.

Der Weg führt durch ein wunderschönes, gastfreundliches Deutschland (Hessen, Thüringen, ehemalige DDR), durch viel Natur, rote Dächer tauchen plötzlich aus dem Nichts auf. Landschaften der Wetterau und Vogelsberg, die aus dem Blickwinkel des Autofensters mangels Zeit bis jetzt nur Sehnsüchte hervorgerufen haben, können erkundschaftet werden. Es stellt sich ein Zeit-/Entfernungsgefühl ein. Begegnungen mit Menschen sind offenherzig: Wasser, Kaffee, Plauderei werden über die Gartenzäune gereicht. Neugierig geworden?

Ehrenamtliche Freunde des Lutherweges 1521 haben die Route liebevoll mit einem „L“ beschildert. Wiesenabschnitte werden regelmäßig mit einem Rasenmäher zugänglich gemacht, wenn man mit offenen Augen läuft kann man sich nicht verlaufen. Es gibt nur einen Haken: Entschleunigung ist nicht einfach. Wer sich nicht auf seine eigene Reisegeschwindigkeit, auf Blasen, auf seinen Rucksack, auf seinen Begleiter einlässt, wird schon nach wenigen Tagen frustriert abbrechen aber auch keine Erfahrung mit nach Hause nehmen.

P.S. Die Reise endet mit einer Waschmaschinenladung.

Bilder: © Elke und Martin Tischer / 04.08.2017